Fremdvorwurf als Resilienz-Dieb

Manche Haltungen oder Verhaltensweisen erweisen sich in unserem Alltag als sehr hilfreich und nützlich. Sie sind zu unseren Überlebensstrategien in einer chaotischen, unsicheren und sich schnell wandelnden Welt geworden. Doch eben diese Haltungen und Verhaltensweisen können in bestimmten Kontexten oder in der falschen Dosierung sehr dysfunktional sein, und so zu wahren Resilienz-Dieben werden. So auch der Fremdvorwurf.

Warum ist Fremdvorwurf ein Resilienz-Dieb?

„Regel Nummer Eins: Finde immer einen Schuldigen“ – Sebastian Mauritz

Dieses Zitat ist eine ironische Einladung, die eigene Resilienz zu minimieren. Denn bei Zeiten fällt es uns ganz einfach, uns über andere zu erheben und unsere Hände selbst in Unschuld zu waschen. Doch wir geben damit nicht wirklich die „Schuld“ aus der eigenen Hand, sondern unsere Selbstwirksamkeit. Wir begeben uns in eine, zugegebenermaßen, bequeme Opferhaltung, indem wir die Verantwortung für unsere Reaktionen und unser Leben auf jemand anderen übertragen. Wir geben so auch unsere Gefühlsfernbedienung aus der Hand und lassen andere Knöpfe bei uns drücken.

Das schwächt unsere Selbstwirksamkeitserwartung – schließlich ist ja immer jemand anders da, der unserem Glück im Weg stehen kann. Wir nehmen uns selbst die Fähigkeit, eigenverantwortlich zu agieren und so auch selbstständig mit Stress, Problemen und Krisen umzugehen. Mit anderen Worten, ein Fremdvorwurf stiehlt uns unsere Resilienz, weil wir uns selbst unsere Anpassungsfähigkeit absprechen.

Was ist Fremdvorwurf?

Fremdvorwurf ist das Verhalten oder die Tendenz, andere Menschen für eigene Schwierigkeiten, Misserfolge oder negative Gefühle verantwortlich zu machen. Anstatt die eigenen Handlungen und Entscheidungen zu reflektieren, suchen wir die Schuld bei anderen.

Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-DiebFremdvorwurf als selbstwertdienliche Attribution

Eine Ursachenzuschreibung nennt man in der Psychologie eine Attribution. Leider kommt es in unserem Alltag häufig zu sogenannten kognitiven oder motivationalen Verzerrungen. Schließlich funktioniert unsere Wahrnehmung nicht wie eine Kamera, sondern wird stets durch unsere eigene Innenwelt geprägt. So kommt es auch zu einer Verzerrung namens „Selbstwertdienlicher Attribution“.

Was zunächst ganz positiv klingt – weil es ja einem höherem Selbstwert dient – ist der Kern des Resilienz-Diebes Fremdvorwurf.

Eine selbstwertdienliche Attribution ist eine Art der Ursachenzuschreibung, bei der Menschen Ereignisse und Ergebnisse so interpretieren, dass ihr Selbstwertgefühl gestärkt oder geschützt wird. Dies bedeutet, dass sie Erfolge tendenziell auf interne Faktoren wie ihre eigenen Fähigkeiten, Anstrengungen oder Eigenschaften zurückführen, während sie Misserfolge und negative Ereignisse auf externe Faktoren wie Pech, schwierige Umstände oder das Verhalten anderer Personen schieben.

Zwar hilft dieser Attributionsstil, ein positives Selbstbild zu bewahren und unangenehme Emotionen wie Scham oder Schuld zu minimieren. Langfristig kann dies jedoch dazu führen, dass wichtige Lernerfahrungen und persönliche Verantwortungsübernahme vernachlässigt werden, was die Entwicklung von Resilienz und Selbstverbesserung behindern kann.

Fremdvorwurf als Beziehungskiller

Fremdvorwürfe können eine verheerende Wirkung auf Beziehungen haben, indem sie eine Atmosphäre von Schuldzuweisungen und mangelnder Verantwortungsübernahme schaffen. Anstatt konstruktiv an Problemen zu arbeiten, führen Fremdvorwürfe zu defensivem Verhalten, Misstrauen und emotionaler Distanz zwischen Partnern. Laut John Gottman, einem renommierten Psychologen und Beziehungsforscher, gehören Schuldzuweisungen zu den „vier apokalyptischen Reitern“ der Kommunikation, die das Ende von Beziehungen vorhersagen. Diese „Reiter“ sind Kritik, Verachtung, Abwehrhaltung und Mauern (Stonewalling), und sie tragen erheblich zu Beziehungsproblemen und Scheidungen bei.

Kritik, oft begleitet von Fremdvorwürfen, greift den Charakter des Partners an und führt zu einem Teufelskreis aus gegenseitigen Beschuldigungen und Verletzungen. Verachtung, die schwerwiegendste der vier negativen Kommunikationsmuster, zeigt sich durch Respektlosigkeit und moralische Überlegenheit und ist der stärkste Prädiktor für eine Scheidung. Wenn Kritik und Verachtung auf defensives Verhalten treffen, eskaliert der Konflikt weiter, da keine der Parteien Verantwortung übernimmt und Probleme ungelöst bleiben. Schließlich führt das Mauern, das Zurückziehen aus der Kommunikation, zu einer vollständigen Blockade der Beziehungsdynamik und vertieft die emotionale Kluft.

Wie können wir resilient mit dem Fremdvorwurf umgehen?

Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-DiebEin resilienter Umgang mit Fremdvorwurf erfordert eine bewusste Veränderung unserer Denkweise und Verhaltensmuster.

Den Fremdvorwurf erkennen wir vor allem an der Emotion Ärger – dem Hüter unserer Werte und Ziele. Allerdings handelt es sich um einen dysfunktionalen Ärger, denn die Handlungsenergie, die der Emotion innewohnt, wird nicht dazu verwendet, selbst aktiv das Zielhindernis zu beseitigen. Stattdessen richtet sie sich in Form von Aggression gegen andere.

Der erste Schritt, um vom dysfunktionalen Ärger, also dem Fremdvorwurf, in einen funktionalen Ärger zu kommen, ist die Selbstreflexion. In welchen Situationen schreiben Sie anderen die Verantwortung für bestimmte Situationen zu? Welche Worte nutzen Sie? Es lohnt sich, bei Generalisierungen, wie „immer“, „alle“, „niemand“, „nie“ hellhörig zu werden. Allein die Achtsamkeit darauf kann schon eine kleine Lücke zwischen Reiz und Reaktion schaffen.

Der zweite Schritt ist nach dem Erkennen eines Fremdvorwurfes ist die Übernahme von Eigenverantwortung. Es ist einfacher, anderen dafür die Schuld zu geben, wenn etwas im Leben nicht so läuft, wie wir uns das wünschen. Doch aktiv daran zu arbeiten, diesen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und auch Misserfolge als Teil davon wahrzunehmen, erfordert Anstrengung. Diese Anstrengung wird durch den Resilienz-Faktor Selbstwirksamkeitserwartung belohnt.

Was ebenfalls hilft für einen resilienten Umgang mit Fremdvorwürfen, besonders in Bezug auf Beziehung, ist eine konstruktive Kommunikation. Als „Antidote“ (dt. Gegengift) empfiehlt John Gottman einen „gentle start-up“: Die Kommunikation sollte mit Ich-Botschaften beginnen, insbesondere eigene Gefühle und Bedürfnisse betreffend.

Wozu ein resilienter Umgang mit Fremdvorwurf führt

Ein resilienter Umgang mit Fremdvorwurf hat viele positive Auswirkungen. Er führt zu einer stärkeren Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit, was wiederum das Selbstbewusstsein und die emotionale Stabilität stärkt. Menschen, die resilient mit Fremdvorwürfen umgehen, sind besser in der Lage, konstruktive Beziehungen aufzubauen und Konflikte auf gesunde Weise zu lösen. Sie entwickeln eine positive Einstellung gegenüber Herausforderungen und sehen diese als Gelegenheiten für persönliches Wachstum und Lernen.

Durch die Übernahme von Verantwortung und den Fokus auf Lösungen anstatt auf Schuldzuweisungen, können wir unsere Resilienz stärken und ein erfüllteres und ausgeglicheneres Leben führen. Wir lernen, mit Stress und Rückschlägen besser umzugehen und unsere Energie auf positive Veränderungen und persönliches Wachstum zu richten. Letztlich führt ein resilienter Umgang mit Fremdvorwurf zu einer gesünderen, zufriedeneren und erfolgreicheren Lebensweise.

Bildquellen: Grafiken by Dylan Sara, www.depositphotos.com

Quelle: www.gottman.com/the-four-horseman/

Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-DiebRebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.

 


Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-Dieb

Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-Dieb
Resilienz Akademie | Fremdvorwurf als Resilienz-Dieb

Resilienz Akademie | Werner-von-Siemens-Straße 1 | 37077 Göttingen | sebastian.mauritz@resilienz-akademie.com | Impressum | Datenschutz | AGB

Click to access the login or register cheese
Nach oben scrollen